Schmunzel-Geschichten

Ein paar von meinen Geschichten, die mich in den letzten Jahren so verfolgt haben, bis ich Mitleid mit ihnen hatte und sie aufschrieb, leben nun in meiner Schublade und stauben dort vor sich hin. Aber das gefällt ihnen überhaupt nicht. Du hast uns aufgeschrieben, rufen sie, nun bringe uns auch zu den Kindern. Ach, sage ich. Ihr seid doch eigentlich noch gar keine richtigen Geschichten. Ihr seid nur Hirngespinste, Ideen, Skizzen für eine andere Welt. Wer will euch denn lesen. Egal, sagen sie, wir wollen in die Kinderzimmer. Also gut, sage ich, damit ich meine Ruhe habe, ich schicke euch als Schmunzeln-Geschichten in die Welt hinaus. Vielleicht kann sich jemand daran erfreuen.
Hier kommt die erste.

Anton rettet die Welt

Die Welt glich einem aufgeweichten Pausenbrot. Anton starrte aus dem Küchenfenster und betrachtete sich den trüben Dezembernachmittag. Seine Gedanken vermischten sich mit den dicken Regentropfen, die an der Scheibe herab rollten und sich auf dem Fenstersims zu einer riesigen Lache vermengten. Noch eine Woche bis Weihnachten. Eigentlich sollte draußen meterhoch Schnee liegen. Und eigentlich sollte er sich mit seinen Freunden auf dem Schlittenberg treffen. Stattdessen 13 Grad und Regen.

Er hatte es gründlich satt. Irgendetwas musste geschehen, damit es endlich schneite. Anton stapfte mit dem Fuß auf den Boden und in dieser Sekunde fasste er einen Entschluss. Er musste handeln.

Kurzentschlossen stülpte er sich seinen quietschgelben Regenmantel über und schlüpfte in die Gummistiefel. Dann rannte er auf die Straße hinaus. Nur, was sollte er tun? Anton hatte ja keine Ahnung. Grübelnd schritt er die Straße entlang und kickte lustlos gegen eine lehre Cola-Dose, die auf dem Gehweg lag. Der Regen sammelten sich in der Regenrille und wurden vom Gully verschluckt. Ein Auto fuhr rücksichtslos durch eine Pfütze und spritzte Anton nass. Tief in Gedanken versunken merkte er das gar nicht. Anton hob den Blick und entdeckte auf der anderen Straßenseite ein Geschäft.

Antiquariat zum Heiligen Sankt Michael las er. Was um alles in der Welt war ein Antiquariat? Er hatte keine Ahnung. Aber irgendetwas zog ihn in den Laden. Waren es diese uralten, in Leder gebundenen Bücher, die er im Schaufenster sah oder war es dieses seltsame Ölgemälde mit dem goldenen Rahmen. Ein Mann in Ritterrüstung mit einem langen Schwert, aus dessen Rücken Flügel wuchsen, kämpfte dort gegen einen feuerspeienden Drachen. Neugierig betrat Anton das Geschäft.

Ein Geruch aus Staub und alter Druckerschwärze schlug ihm entgegen. Meterhohe Regale mit antiken Büchern verzierten die Wände. Das gesamte Wissen der Welt war an diesem Ort vereint. Staunend blickte Anton sich um. Keine Menschenseele. Leise schloss er die Tür hinter sich und hängte seinen Regenmantel an die Garderobe. Auf dem Boden bildeten sich kleine Pfützen. Vorsichtig zog er ein Buch aus einem der Regale.

„Das wurde aber auch Zeit, dass Du endlich kommst.“, ertönte eine brummige Stimme hinter ihm. Anton wäre vor Schreck beinahe umgefallen. Mit einem Ruck drehte er sich um und sah sich einem alten Mann mit einem buschigen, weißen Bart und schneeweißen Haaren gegenüber. Er sah ähnlich betagt aus wie all diese Bücher, die hier sorgfältig in den Regalen verstaut waren. Sein Gesicht war zerknautscht wie eine verschlissene Hundedecke. In seinen kräftigen Händen hielt er einen Globus. „W… Wer sind Sie?“, brachte Anton mühsam hervor.

„Du hast es doch draußen gelesen!“, antwortete der Alte.

„Sie…meinen … Sie sind der Heilige Sankt Michael?“ Anton dachte, der Mann wollte ihn veralbern.

„Na ja, früher kämpfte ich gegen Drachen. Dann kam die Reformation. Heutzutage glauben nicht mehr so viele Menschen an uns Heilige. Ich werde nur noch ganz selten angerufen. Darum habe ich mir einen Laden eingerichtet, um mir die Zeit zu vertreiben. Die Ewigkeit ist lang.“

Der Mann verzog seinen Bart zu einem freundlichen Lächeln. Anton sah ihn mit großen Augen an.

„Und wieso haben sie auf mich gewartet?“, wollte Anton wissen.

„Ich schenke Dir die Welt. Gib gut auf sie acht!“ Mit diesen Worten überreichte ihm der alte Mann den Globus und verschwand hinter einem Stapel Bücher. Anton war völlig verblüfft.

„Halt! Warten sie!“, rief er ihm hinterher.

Aber da war der Alte auch schon verschwunden. Anton betrachtete den Globus. Er war wunderschön. Die Kugel war aus Holz gearbeitet und mit feinen Pinselstrichen waren darauf die Kontinente und die Meere eingezeichnet. In den Meeren schwammen kleine Fische und Ungeheuer. Der Standfuß war aus Kupfer und darum richtig schwer. Anton hatte noch nie in seinem Leben so etwas wertvolles besessen. Ihm wurde ganz warm ums Herz. Vorsichtig wickelte er den Globus in seinen Regenmantel und machte sich auf den Weg nach Hause. 

Dort angekommen klingelte er Sturm. Die Mutter öffnete die Tür. „Anton! Wo kommst Du denn her?“, fragte sie. „Keine Zeit! Ich muss die Welt retten!“, antwortete er im Vorbeirasen und ließ seine Mutter verdutzt stehen. Er hastete die Kellertreppe hinunter bis zur Vorratskammer. Dort wusste er, stand die große Kühltruhe, in der seine Mutter gefrorene Beeren und Gemüse lagerte. Mit etwas Mühe, schaffte er es die Truhe zu öffnen. Dann schob er einen Kasten Mineralwasser heran und stellte sich darauf. Jetzt war er groß genug um in die Truhe hineinreichen zu können. Er schälte den Globus aus seinem Regenmantel und legte ihn behutsam in die Tiefkühltruhe. Dann schloss er ganz sachte den Deckel. Danach räumte er den Kasten zurück an seinen Platz, wusch sich die Hände und setzte sich an den gedeckten Küchentisch.

„Anton, wo warst Du nur die ganze Zeit?“, fragte ihn seine Mutter, trocknete sich an einem Geschirrtuch die Hände und setzte sich dazu. Es roch köstlich nach Nudeln mit Tomatensoße.

„Alles klar, Mama! Ich hab’ es erledigt! Jetzt wird alles gut!“  Die Mutter sah den Vater verständnislos an. Der schüttelte unmerklich den Kopf, was so viel hieß wie: Lass ihn nur machen. Die Mutter seufzte und teilte das Essen aus. 

Als Anton am nächsten Morgen erwachte fielen vor seinem Fenster dicke Schneeflocken herab. Mit einem lauten Schrei hüpfte er aus dem Bett und öffnete das Fenster. Die Welt lag unter einer weißen Schneedecke begraben. Jauchzend sprang er die Treppe hinunter und eilte in die Küche.

„Mama, Mama, hast Du’s gesehen? Es schneit! Es schneit! Ich hab es geschafft!“ Im selben Moment hörte er einen Aufschrei aus dem Keller

„Anton, was zum Teufel….!“ Darauf folgte ein lautes Krachen. Anton raste die Treppe hinab in den Keller. Da lag der Globus auf dem Boden, in tausend Teilen zerbrochen.